10 Notfallseelsorger im Dienstplan, zwischen 95 und 105 Einsätze pro Jahr, Einsatzbereitschaft ca. 30 Minuten nach Alarmierung durch die Rettungsleitstelle, 80 Unterrichtsstunden Ausbildung und eine Erreichbarkeit von 24 Stunden pro Tag an 365 Tagen im Jahr – Hinter diesen Zahlen steckt die Notfallseelsorge Osnabrück, die von der Evangelisch-lutherischen und der katholischen Kirche in Osnabrück koordiniert wird.
Pastor Thomas Herzberg aus dem Kirchenkreis Osnabrück berichtet, wie das Team der Notfallseelsorge arbeitet. „Genau genommen lautet der passende Fachbegriff ‚Psychosoziale Notfallversorgung‘, die sich an Betroffene oder an Einsatzkräfte richtet und für die unterschiedliche Anforderungen gelten“, erklärt Herzberg, der im Hauptberuf als Pastor in den Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden Martin und Bonnus im Dienst ist und regelmäßig als Notfallseelsorger tätig ist. Aus welchem Grund die Notfallseelsorge zu einem Einsatz gerufen wird, sei sehr unterschiedlich. „Auch was uns vor Ort erwartet, ist je nach Situation verschieden. Es kann sein, dass eine Ehefrau ihren Mann tot im Badezimmer gefunden hat und bis zum Eintreffen weiterer Angehöriger begleitet werden muss. Vielleicht betreuen wir Zeugen oder Verursacher eines Verkehrsunfalls. Auch Zeugen eines Suizids im öffentlichen Raum, bei Todesfällen in Schulen, Arbeitsunfällen oder plötzlichen Todesfällen auf der Arbeit stehen wir Betroffenen zur Seite“, schildert Herzberg mögliche Einsätze.
Schockreaktion auffangen
Oft seien Notfallseelsorger*innen beim Überbringen einer Todesnachricht durch die Polizei mit dabei, um eine Schockreaktion aufzufangen. „Denn darum geht es im Kern: Wir begleiten betroffene Angehörige und Zeugen, die durch das Geschehen einen seelischen Schock erlitten haben. Wir überwachen und stabilisieren diese Menschen, erklären vorgegebene Abläufe, z.B. wenn die Polizei nach einem plötzlichen Todesfall eine Untersuchung des Leichnams vornehmen muss“, so Herzberg. Wichtig sei auch, immer wieder zu erklären, was als nächstes passiere, durch Nachfragen das chaotische Geschehen zu ordnen und Zuhörer*in zu sein, wenn die Betroffenen das Erlebte erzählen wollen. „Manchmal bedeutet Notfallseelsorge aber auch, den Schmerz mit den Angehörigen auszuhalten, gemeinsames Schweigen und Nichtstun. Oder wir planen die ersten Schritte, damit das Gefühl der Selbstwirksamkeit wiederhergestellt wird, die im Schock verloren gegangen ist. Dann unterstützen wir zum Beispiel den zuerst Informierten dabei, die nächsten Schritte selbst zu tun, z.B. weiteren Familienmitgliedern Bescheid zu geben“, sagt Herzberg.
Aktives Zuhören ist das A und O
Wichtig sei auch, den Betroffenen zu vermitteln, dass ihre Schock-Reaktion auf das unerwartet Erlebte normal sei und über die psychosozialen Folgen eines Notfalls zu informieren. „Manchmal passiert das erst am Tag nach dem schlimmen Erlebnis. Dann meldet sich jemand, weil die Bilder und Erinnerungen an den Vorfall den Schlaf geraubt haben. In dieser Situation können wir erklären, wie der Mensch auf das Erlebte reagiert, wie lange eine solche Reaktion normalerweise anhält und ab wann professionelle Unterstützung hilfreich sein kann“, erklärt Herzberg. Häufig sei schon das Gespräch über das Geschehene eine große Hilfe. „Bei vielen folgt nach dem ersten Schock das Bedürfnis, reden zu wollen. Deshalb ist aktives Zuhören das A und O in der Notfallseelsorge“, weiß Herzberg aus Erfahrung.
Seit 2002 ist Thomas Herzberg als Notfallseelsorger im Dienst und hat schon viele Einsätze erlebt. „Jeder zeigt, wie sinnvoll und wichtig mein Tun in diesem Fall ist. Ohne die Notfallseelsorge fehlt der Feuerwehr oder Polizei ein wichtiges Hilfsmittel. Menschen in solch einer Extremsituation profitieren von unserem Einsatz“, betont Herzberg. Alarmiert wird die Notfallseelsorge durch die gemeinsame Rettungsleitstelle von Stadt und Landkreis Osnabrück. „Rettungskräfte, die bei einem Unfall, einem Brand oder einem anderen Unglück vor Ort sind, schätzen die Lage ein und melden den Bedarf für Notfallseelsorge an die Leitstelle, die dann nach dem Dienstplan der Notfallseelsorger*innen die zuständige Person informiert“, beschreibt Herzberg den Ablauf. In der Regel sei diese Person nach höchstens 30 Minuten am Einsatzort.
Offenheit für jeden Einzelfall
„Unser Gebiet erstreckt sich über den Kirchenkreis Osnabrück, also die Stadt Osnabrück inklusive Sutthausen, Hasbergen, Wallenhorst, Belm und Vehrte. Wenn aber im Landkreis Osnabrück kein*e Notfallseelsorger*in zur Verfügung steht, greift die Leitstelle auch auf uns zurück“, so Herzberg. Das Engagement gerade auch der ehrenamtlichen Notfallseelsorger*innen sei sehr wertvoll, „ohne ihre Bereitschaft, Dienste zu übernehmen und sich einzusetzen, könnte unser System die Anfragen nicht bewältigen“, dankt Herzberg dem Team. Für die Notfallseelsorger*innen seien die Rufbereitschaft und die Einsätze natürlich eine Herausforderung, die aber tragbar sei. „Je jünger der bzw. die Tote ist, desto belastender sind die Einsätze. Ebenfalls herausfordernd sind Unfallorte, weil dort viel los ist“, sagt Herzberg. Normalerweise könne er nach einem Einsatz schnell in den Alltag wechseln, gerade, „wenn gleich danach ein Taufgespräch und damit das blühende Leben wartet.“ Die Motivation für ihn und die Kolleg*innen seien „gelungene Einsätze, die für den nächsten ermutigen. Und da jeder Einsatz anders ist, gibt es keine wirkliche Routine, sondern jeder Alarm erfordert größtmögliche Offenheit für die jeweiligen Umstände.“
Weitere Informationen zur Notfallseelsorge Osnabrück hier.
M. Ber./pm, Foto: privat